Tag 1, Vormittag
Im Minutentakt spuckt die S-Bahn die Menschenmassen in den Bahnhof. Sie tragen Kostüm, Anzug, Chucks oder Trench, sind beladen mit Rucksäcken, Tüten, Taschen. Erfahrene Besucher schieben kleine rollende Koffer vor sich her. Wenn in Frankfurt die Buchmesse ruft, mutiert der Trolley zum Lastenesel. So leicht wie sie noch sind, schnurren sie geschmeidig ihren Besitzern hinterher. Später, am Abend, wenn sich die Tore im Mekka der Bibliophilen schließen, transportieren sie die papiernen Eindrücke des Tages nach Hause. Und sind schwer, schwer, schwer.
Es ist gerade 11 geworden, die Messehalle füllt sich. Nur Fachbesucher dürfen rein, drei Tage lang, dann ist die Buchmesse geöffnet für Jedermann. Es ist fast Luxus, sich nicht durch die am Wochenende immer vollen Gänge schieben zu müssen, um kleinste Blicke auf Büchertürme und ihre Autoren und Verleger zu erhaschen. Entspanntes Schlendern ist möglich, ein kurzer Schwatz hier, ein Wink über die Schulter – man kennt sich. Die Damen der schreibenden und knipsenden Zunft setzen sich auf den großen Innenplatz, den man Agora nennt, auf eine Bank und besprechen den Tag. Zuerst in Halle 3. Dann in Halle 4. Und natürlich das Gastland Brasilien in F1. Der Rest? Nicht so wichtig für uns.
Im letzten Jahr roch es in Halle 3 nach Popcorn. Und es gab dank Lady Bitch Ray Penisse aus Vollmilch, serviert auf einem Tablett. Dieses Jahr erwischen wir nur Mäusespeck in Zellophan. Das ist komisch. Denn eigentlich ist Essen das heimliche Motto der Buchmesse in diesem Jahr. An welchem Stand man auch stehen bleibt, kaum ein Verlag, der etwas auf sich hält, hat nicht mindestens ein Kochbuch im Portfolio. Besonders die vegetarische, nachhaltige und regionale Küche, vor allem aber die vegane Küche, liegen derzeit so im Trend, dass selbst überzeugte Fleischesser stehenbleiben und sich in den hübsch illustrierten Bänden neue Ideen und Appetit holen.
Es ist spannend zu sehen, wie sich die Buchmesse Jahr für Jahr aktuellen Themen und Trends widmet, sie in den Mittelpunkt rückt und wie sich doch immer wieder Nischenthemen verselbständigen. Im vergangenen Jahr drehte es sich um die elektronischen Lesemedien. Klar, die sind immer noch spannend. Aber Essen eben auch.
Mittag
Halle 3 haben wir fast durch. Wir sind einmal quer, einmal längs, diagonal und bestimmt auch einmal im Kreis. Uwe Ochsenknecht hatten wir schon vor der Kamera (übrigens ein waschechter Hesse. Kommt aus Biblis. Heimspiel also). Auf den ersten Blick sieht man den Schauspieler nicht. Er hockt vor einem Plakat, das für seine Autobiografie „Was bisher geschah“ wirbt. Davor: die Journaille. Ich stelle mich frech daneben. Die knipsende Kollegin auch. Et voila. Ein Foto mit dem Promi wäre nett. Ich pirsche mich näher ran. Muss am Ochsenknecht-Agenten vorbei. Der, ein wenig brüsk zu den Presseleuten: „Noch eine Viertelstunde. Uwe muss Mittagessen.“
„Uwe, hast du Hunger?“
„Nö.“
In der Kurzbeschreibung zu Ochsenknechts Autobiografie steht bei Amazon: „Die Menschen mögen ihn, weil er so ist wie sie: bodenständig, geradeheraus und ein wenig eigensinnig.“ Uwe dreht ab. Chance vorbei.
12.55 Uhr
Wir überbrücken noch ein bisschen die Zeit. Am Stand von Südwest haben wir gelesen „Heute am Stand: Björn Moschinski, 13 Uhr“. Eine junge Truppe sitzt um einen Tisch. Äh, sorry, wir suchen die Bühne von Südwest. Wir wollten zu Björn Moschinski.“ Die Damen schießen hoch, lächeln. Da sitzt er ja schon. Es gibt keine Bühne. Huch. Egal. Moschinksi freut sich, uns zu sehen. Plaudert. Erklärt uns seine beiden Kochbücher „Hier und jetzt vegan“ und „Vegan kochen für alle“. Seit 20 Jahren ist Moschinski schon Veganer. Findet es spannend, wie sich die Esskultur entwickelt. Ein wichtiger Lebensbereich ist im Wandel. Und sein Lieblingsessen? Kartoffeln mit Quark. Vegan natürlich. Wir nicken.
13.15 Uhr
Die Kollegin schwärmt von Luca di Fulvio und seinen Büchern „Das Mädchen, das den Himmel berührte“ und „Der Junge, der Träume schenkte“, beides Bestseller. Bücher seien das, die gingen ans Herz. Ich kenne den Autor nicht. Wir schlendern gerade bei Bastei Lübbe vorbei. Eine Tafel verrät: Heute am Stand: Luca di Fulvio. Ich bin schneller als die Kollegin. Zwei, drei Worte mit dem netten Verlagsmitarbeiter, und plötzlich steht der italienische Schriftsteller neben uns. Was für ein charmanter Kerl. Die italienische Herzlichkeit ist einfach umwerfend. Er plaudert mit uns, berichtet von der Arbeit an seinem neuen Roman. Als Krönung bekommen wir zwei handsignierte Exemplare. In meinem steht:
A Giovanna. Viva l’Italia.
Ma che bella la Germania. Luca
Wir sind gerührt. Ich freue mich über die neue, nun sehr persönliche Lektüre des 972 Seiten starken Taschenbuchs („Das Mädchen“). Wir stecken die Bücher in den Trolley. Die Kollegin hat rote Bäckchen.
15.38 Uhr
Halle 4: Eine Cocktail-Einladung, einem netten Schwatz am Parragon-Stand (das hübsche Notizbüchlein ist ein Traum) und gefühlte hunderte Kilometer stehen wir bei Callwey. In der Blogosphäre ist der Verlag ein Begriff. Derzeit erscheinen hier alle Bücher, die besonders bei weiblichen Bloggerinnen extreme Besitzwünsche auslösen. Mein Favorit: „Wohnideen aus dem wahren Leben“. Wir sprechen mit Bettina Springer, Lektorin des Buches „Schauplatz Tatort: Die Architektur, der Film, der Tod“. Sie spricht von der Kooperation mit Fräulein Klein, zeigt uns ihre persönlichen Favoriten aus den beiden Büchern „Die wunderbare Welt der Fräulein Klein“ und „Weihnachten mit Fräulein Klein“. Die Zeit am Stand vergeht wie im Flug, wir haben das Gefühl, mit einer guten Freundin zu schnacken. Die Visitenkarten wechseln die Besitzer. Wir werden uns sicher wiedersehen.
17 Uhr
Brasilien ist in diesem Jahr das Gastland. In F1 erwartet die Besucher eine interaktive Entdeckungsreise. Faul in der Hängematte oder sportlich auf dem weißen Vintage-Rad. Die liegende Variante ist nett gemacht: Lässig in der Hängematte liegen, Musik auf dem Ohr, auf Bildschirmen die Übersetzung, Augen zu, die Menge um dich herum verschwindet. Fehlt eigentlich nur der Caipirinha. Auch das bekommen die Buchmessen-Macher irgendwie hin. Und schicken einen Mitarbeiter mit nostalgischem Verkaufswägelchen, der kostenlos die Cocktails (die es übrigens ganz schön in sich haben) an die Besucher verteilt. Ein Schluck, und aus der Hängematte geht es ab aufs Rad zu einer tour de Brasil.
18.30 Uhr
Der Bahnsteig ist voll. Die Luft vibriert. Einige haben den Mantelkragen schon hochgeschlagen. Es wird langsam Herbst. Der Zug fährt in die Station. Müde Menschen schieben sich und ihre Trolleys in die Bahn. Anstrengend war es, und schön. Wir kommen wieder. Im nächsten Jahr.